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Eine Weihnachtsgeschichte

Gesegnete Weihnachtsfeiertage 2023

 

Licht kann man verschenken Zauberhafte Winterweihnachtszeit von Maria Rößler 1998

 

Noch vor nicht allzu langer Zeit lebte in einem kleinen Dorf, inmitten der hohen Berge, ein freundliches Volk. Die Menschen, die dort lebten, hatten ständig ein Lächeln auf den Lippen und um ihre Augen hatten sie kleine Lachfalten, die wie Sonnenstrahlen aussahen. Auf diese Weise wirkten sie sehr nett und offen. Wenn sich einmal ein Fremder in dieses Dorf verirrte, wurde er mit Freuden aufgenommen und fürstlich bewirtet .Niemals war ein lautes Wort oder Streit zu hören. Auch Tränenflossen nie. Es schien, als habe dieses Dorf die Freude und das Glück gepachtet.

Doch diese Fröhlichkeit hatte ihren Grund. Niemals sah man einen der Menschen ohne eine Kerze durch das Dorf ziehen. Überall nahmen sie ihre leuchtenden Flammen mit. Es waren sehr schöne Kerzen, die die Kinder phantasievoll verzierten. Wenn sich auf dem Marktplatz mehrere Menschen trafen, erstrahlte der Platz in hellem Schein. Dieses warme Licht lockte noch mehr Menschen an und im Nu war eine große Schar versammelt. Weil dieses Volk die Gemeinschaft liebte, begannen sie oft zu singen und zu tanzen.

So feierten sie mitunter mitten am Tag ein fröhliches Fest, das erst spät am Abend zu Ende ging. Wenn die Menschen glücklich und müde in ihre Häuser zurückkehrten, trugen sie eine neue Kerze bei sich. Denn die Freunde und Nachbarn beschenkten sich jeden Tag mit einem kleinen Licht. Trafen sie beim Einkaufen oder Spazierengehen einen Bekannten oder Verwandten, erfreuten sie sich gegenseitig mit den schön verzierten Kerzen der Kinder. Auf diese Weise erstrahlten selbst die Häuser in dem kleinen Dorf in hellem Glanz. Niemals ging eine Flamme aus, weil täglich ein neues Lichtlein hinzukam. Kranke und alte Menschen, die ihre Stuben nicht mehr verlassen konnten, erhielten viel Besuch. Die Gäste brachten immer besonders schöne Kerzen mit, um damit die Schmerzen und Traurigkeit dieser Menschen zu vertreiben.

Doch hoch oben auf dem Gipfel des weißen Berges wohnte ein kleiner alter Mann. Seit vielen Jahren lebte er dort ganz alleine. Er wolle keinen Menschen bei sich haben, damit er seine Hütte, sein Bett und sein Brot mit niemanden teilen musste. Er wollte ganz alleine sein. Jeden Abend saß er auf dem Bänkchen vor seiner Hütte und schaute hinunter ins Tal. In der Dämmerung sah er die vielen hübschen Lichtlein leuchten. Dabei dachte er: Was für eine Verschwendung!

Dann und wann mache sich der alte Mann auf den Weg ins Dorf, um Vorräte einzukaufen. Dann schlich er schnell und grimmig um die Ecken der Häuser, damit ihn keiner sehen und mit einer Kerze beschenken konnte. Eines Tages aber entdeckte ihn ein kleines Mädchen, das im Garten hinter dem Haus spielte. Es freute sich über den alten kleinen Mann so sehr, dass es ihm eine ihrer schönsten Kerzen schenkte. „Diese Kerze habe ich extra für dich gemacht. Weil ich dich so selten sehe, trage ich sie schon sehr lang in meiner Tasche. Endlich kann ich sie dir geben“, sagte das kleine Mädchen zu dem Mann. „Pah!“, erwiderte der Alte. „Behalte deinen Stummel. Ich mag ihn nicht. Du musst sowieso beim Schenken vorsichtig sein. Wenn du all deine Leuchten hergibst, hast du bald keine mehr. Dann wird es ganz dunkel und kalt in deinem Haus. Ich rate dir, keine Kerzen mehr zu verschenken.“ Nach diesen Worten verschwand der kleine Mann wieder in den Bergen. Doch wie ein Lauffeuer verbreitete3 sich sein Ratschlag im Dorf.

Und man glaubt es kaum, aber die Menschen begannen, sparsamer mit ihren Kerzen umzugehen. Anfangs beschenkten sie noch ihre engsten Freunde, doch auch diese Gaben nahmen von Woche zu Woche ab. Der kleine alte Mann konnte von seiner Bank aus alles jeden Abend beobachten. Von Tag zu Tag verlor das Dorf an mehr Glanz. Immer weniger Flammen erleuchteten die Häuser. Auch die Menschen veränderten sich. Das Strahlen ihrer Gesichter wechselte in böse Grimassen. Auf den Straßen und Plätzen versammelten sich keine Gruppen mehr, um Geschichten zu erzählen. Auch die Lieder verstummten und an das letzte Fest konnte sich schon keiner mehr erinnern. Jeder hatte es eilig wieder nach Hause zu kommen, um seine letzte Flamme zu hüten.

So saßen alle einsam und traurig in ihren dunklen Stuben und gaben auf ihre kleine schwache Kerze acht. Doch es passierte was passieren musste. Auch diese Flammen erloschen und letztendlich brannte nur noch eine einzige Leuchte im ganzen Dorf. Aber auch diese flackerte schon und ging eines Nachts still und heimlich aus. Plötzlich wurde es stockfinster und eiskalt. All diese Ereignisse beobachtete der kleine Mann.

Auf einmal überkam ihn eine große Traurigkeit. Kein einziges Lichtlein entdeckte er mehr unten im Dorf. Das wollte er auch wider nicht, denn insgeheim hatte er sich über den hellen Schein und die Freudigen Lieder der Menschen im Tal gefreut. Da erinnerte er sich an das dicke Buch, das er vor vielen Jahren in seiner schweren Truhe verstaut hatte. Nachdem er den Einband von Staub befreit hatte, begann er aufmerksam zu lesen. Er las viele Geschichten, die von einem Mann erzählten, der Licht und Wärme in eine kalte dunkle Welt brachte. Als der Alte das Buch ausgelesen hatte, lief er schnell in den Wald und sammelte trockenes Holz. Noch an diesem Abend wollte er ein großes Feuer anzünden, um dem Volk im Tal ein Zeichen zu senden. Nach Einbruch der Dämmerung war es soweit: er steckte mit einem Streichholz den Holzstoß an. Riesige Flammen schlugen zum Himmel hinauf und verbreiteten einen lodernd hellen Schein.

Viele kleine Funken sprangen aus der Glut, weil der alte Mann ständig Zweige und Äste nachlegte. Unten im Dorf konnte man das helle Feuer sehen. Neugierig kamen alle Menschen aus ihren Häusern und schauten erstaunt zum Gipfel des hohen Berges. Sie konnten ihren Augen nicht trauen, dass gerade von der Hütte des alten grimmigen Mannes ein solcher Glanz ausging. Eilig rannten sie in ihre Häuser und suchten alle Fackeln, Laternen und Kerzen zusammen, die sie finden konnten. Gemeinsam machten sie sich auf den weiten Weg zum Gipfel. Schon während des Aufstieges begannen die Menschen wieder miteinander zu reden. Als sie endlich oben angelangt waren, entzündeten sie alle mitgebrachten Leuchten an dem goldenen Feuer. Dadurch entstand ein riesiges Lichtermeer, das eine wunderbare Wärme verbreitete. Vor lauter Glück fingen alle an zu singen und zu tanzen. So vergingen viele Stunden und mit großer Freude und Begeisterung erzählten sie sich von den schönen Festen, die sie einst feierten.

Erst als das Feuer niedergebrannt war, machten sie sich wieder auf den Heimweg. Müde aber überglücklich über das wiedergefundene Licht amen sie in den frühen Morgenstunden im Tal an. Sofort schenkten sie ihre Kerzen an die Kranken und Alten, die de weiten Weg nicht mitgehen konnten, weiter. Und auf einmal kehrten auch die Sonnenstrahlen in ihre Gesichter zurück. In den folgenden Tagen hörte man wieder das fröhliche Lachen und Geschwätz in den Straßen und auf den Plätzen.

Keiner saß mehr alleine zu Hause. Jeder war unterwegs, um seinen alten Freunden und Bekannte eine Freude zu bereiten. Sehr viele Kerzen wurden in den ersten Tagen weitergegeben. Es ist kaum zu glauben, aber die Lichter gingen niemals aus. Denn mit jedem verschenkten Licht ging ein neues auf und dadurch erstrahlte das Dorf alsbald in seinem alten Glanz. Was jedoch mit dem kleinen alten Mann auf dem Gipfel des weißen Berges geschehen ist, weiß heute keiner mehr.

 

 

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